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Gegen fremde Programmrichter


Von Journal21, 05.02.2018

interview gegen fremde Programmrichter

Moritz Leuenberger (Foto: Keystone/Gaetan Bally) 

Moritz Leuenberger wirbt für ein Nein zur No-Billag-Initiative. Die Initianten bezeichnet er im Gespräch mit Journal21 als „esoterische Kapitalistensekte“. Den Direktor des Gewerbeverbandes bezichtigt er der „Propagandalüge“.

Moritz Leuenberger (SP/ZH) war von 1995 bis 2010 Bundesrat. Als Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) war er 15 Jahre lang „Medienminister“. Das Gespräch führte Heiner Hug.

Moritz Leuenberger: Ob Blocher, Supino, Goldbach oder Wanner: Alle werden sie versuchen, in die Lücke zu springen und sie möglichst breit ausfüllen. Doch auch alle zusammen könnten sie nicht füllen.

Ausländische Konzerne wie Sat1 oder Vox werden die Nase vorn haben. Das Programmangebot in der Schweiz würde so aus dem Ausland gesteuert. In trojanischen Pferden würden fremde Programmrichter eingeschleust und wir verlören unsere Autonomie. Wir würden mehr Fasching sehen und weniger Basler Fasnacht.

Wer das Fernsehen kontrolliert, kontrolliert auch die Politik. Das wissen auch rechtsnationale Kreise. Ist die No-Billag-Initiative ein Versuch von Milliardären dieses Landes, die öffentliche Meinung zu beeinflussen?

Diesen Versuch haben wir schon seit langem. Schon längst wollen sie die mediale Landschaft mit ihrem Gedankengut beeinflussen. Stichwort: Basler Zeitung, Stichwort: Regionalzeitungen. Die No-Billag-Initiative kommt zwar nicht direkt von den Milliardären. Aber natürlich ist sie ein Steilpass für sie.

Die Initiative kommt von einer Gruppe junger Leute, die sich „libertär“ nennen. Sie wollen möglichst ohne Staat leben. Ist das eine Form von Anarchismus?

Ja, allerdings kein sozialliberaler, sondern eher eine Art Silicon-Valley-Anarchismus. Vorbild ist weniger Bakunin als vielmehr (der libertäre amerikanische Investor und Facebook-Kapitalgeber) Peter Thiel oder Steve Jobs. Mir kommt das manchmal vor wie eine esoterische Kapitalistensekte, deren Hauptfeind der Staat ist.

Und dennoch bedienen sie sich eines staatlichen Instrumentes, nämlich einer Volksinitiative. So ganz konsequent libertär sind sie also auch wieder nicht.

Die Initiative wendet sich an Leute, die einen Groll auf die Medien haben, einen Groll gegen das Fernsehen.

Ist es nicht eher ein Groll gegen die Gebühren, gegen den Staat, der Gebühren erheben lässt? Im Visier der Wutbürger steht der Staat, weniger das Fernsehen. Da heisst es: „Wieso muss ich etwas zahlen, das ich gar nicht benutze?“ Das ist ein entsolidarisierter, egoistischer Standpunkt, der heute nicht nur bei der Diskussion um die Billag-Gebühren immer mehr Auftrieb hat. 

Natürlich gibt es bei einzelnen Sendungen immer wieder einmal Kritik und Empörung. Ich rege mich auch über Fernsehsendungen auf. Aber ich denke doch nicht im Entferntesten daran, deswegen das Fernsehen abschaffen zu wollen. Wegen einzelner Sendungen, die ihm nicht gefallen, stimmt doch kein vernünftiger Mensch für die Initiative. Immerhin findet eine Diskussion um die Bedeutung und den Inhalt des Fernsehens statt. Das ist gar nicht so schlecht.

Vor allem Junge sagen, weshalb müssen wir zahlen, wir schauen ja kein Fernsehen mehr.

Die junge Generation nutzt Fernsehen und Zeitungen kaum noch. Sie wenden sich neuen Medien, neuen Medienformen, einem neuen medialen Konsumverhalten zu.

Die Befürworter der No-Billag-Initiative appellieren jetzt an den Egoismus der neuen Generation: „Ihr, die ihr doch gar kein Fernsehen schaut, müsst jetzt noch 365 Franken bezahlen.“ Das könnte mehr oder weniger einschlagen, vorausgesetzt, diese Jungen gehen dann an die Urnen.

Noch immer hält sich die Mär vom „Staatsfernsehen“. Selbst Eric Gujer, der Chefredaktor der NZZ, gebrauchte diesen Ausdruck in einem Leitartikel auf der Frontseite. Ist das reine Polemik?

Dieser Artikel war mehr als penibel. Wenn ein Medium mit der Reputation der NZZ sich auf der Frontseite zum DDR-Vergleich herunterreissen lässt, ist das unverzeihlich.

Mit dem Ausdruck „Staatsfernsehen“ wird an eine Diktatur erinnert. Unsere Medienordnung ist aber ein Ergebnis der direkten Demokratie, und die SRG ist mit ihr aufs Engste verwoben und ihr gesetzlich verpflichtet. Vor diesem Hintergrund ist „staatlich“ kein Schimpfwort.

Welche staatliche, welche politische Funktion hat die SRG?

Im Gesetz ist festgelegt, dass die SRG die Anliegen der direkten Demokratie tragen muss. Jede Sachabstimmung, jede Wahl muss kontrovers dargestellt werden. Die SRG hat auch einen gesetzlich umschriebenen kulturellen Auftrag sowie einen Bildungsauftrag. Kultur ist die Infrastruktur des politischen Diskurses.

Ich würde mir wünschen, die SRG-Kritiker hätten den Mut, an diesem gesetzlichen Auftrag zu feilen, wenn sie dort etwas stört. Aber das würde Verantwortung und Kompromissbereitschaft verlangen. Es ist sehr billig, einfach die Zerschlagung der SRG zu propagieren.

Noch immer hält sich bei einigen Leuten der Ausdruck vom „linken Fernsehen“

Wenn der geistige Mittelpunkt der Erde Herrliberg ist, steht man schnell einmal links.

Ich teile die Welt nicht gerne in links und rechts ein. Diese Schematisierung stört mich. Die gesellschaftspolitischen Schattierungen sind meist ganz anders gelagert und auch viel differenzierter.

Die Aufgabe der Medien ist es ja gerade, zur Kritik anzuregen und auch den Mainstream in Frage zu stellen. Das kann nicht mit links gleichgesetzt werden. Sehr oft wird ja die Linke kritisiert. Das soll auch so sein.

Hansueli Bigler, der Direktor des Gewerbeverbandes und notorischer Kämpfer gegen das Fernsehen, sagt, die SRG würde erstarkt aus einer Abschaffung der Gebühren hervorgehen.

Also unterstützt Bigler die Initiative, um die SRG zu stärken? Wie billig und verlogen! Eine Propagandalüge.

Der grösste Teil des Gewerbes will nichts zu tun haben mit dieser ideologischen Verblendung ihrer Führerschaft. Gewerbetreibende haben nicht den geringsten Anlass und auch kein Interesse, die SRG zu zerschlagen.

Wie finden Sie das Programm der SRG heute?

Dazu eine Vorbemerkung: Schon als ich im Amt war, musste ich bei dieser Frage betonen, dass ich meinen Konsum nicht als beispielhaft sehe und die Medienpolitik nicht nach ihm gestalte. Auch heute muss ich unterstreichen: Mein Medienkonsum hat mit meiner Haltung gegen die No-Billag-Initiative nichts zu tun. Dies gesagt: Meine wichtigsten Sendungen sind Tagesschau, Echo der Zeit und Rendez-vous am Mittag.

Auch wenn ich weniger Unterhaltungssendungen und Serien sehe, so wehre ich mich dennoch für sie. Sie sind ein wichtiger Bestandteil des Programms und sie erfüllen oft einen Service-public-Auftrag. Viele gesellschaftspolitische Anliegen können in Form eines Films oder der Unterhaltung viel besser dargestellt werden als in einer reinen Informationssendung.

Aber es gibt für meinen Geschmack wegen der Quotenjagd allzu viele Unterhaltungssendungen und davon viele, die den Service-public-Auftrag kaum oder gar nicht erfüllen. Nur weil ich für die SRG bin, muss ich ja nun nicht alles toll finden und verklärt darstellen. Kritik muss auch jetzt möglich sein.

Es gab Zeitungsverleger, die glaubten mit einer Zerschlagung der SRG würden sie wieder mehr Werbung kriegen.

Das ist völlig absurd. Die Werbeeinnahmen der SRG flössen zu Vox und Sat1. Es ist auch nicht die SRG, die das Zeitungssterben verursacht. Die ganze Medienlandschaft befindet sich in einem radikalen Umbruch – ein Umbruch, der mit dem Aufkommen des Buchdrucks zu vergleichen ist. Die Digitalisierung und die Social Media mischen die Medienlandschaft und das gesellschaftliche Verhalten radikal auf. Dafür ist nicht ansatzweise die SRG verantwortlich, im Gegenteil, sie ist selber davon betroffen.

Konkurrenz der Zeitungen ist neben den Social Media auch der Onlineauftritt der Printmedien selbst. Wenn die Zeitungen ihre Kommentare schon am Tag zuvor ins Netz stellen, gibt es immer mehr Leute, die sich sagen: „Das habe ich ja schon alles online gelesen.“ Zu glauben, die SRG sei an allem schuld, ist eine krasse Fehleinschätzung.

Die Schweiz rühmt sich ja immer, ein solidarisches Land zu sein. Man ist solidarisch mit den anderen Landesteilen, mit den Benachteiligten. Ist das Bestreben, die SRG abzuschaffen, ein Zeichen dafür, dass diese Solidarität nicht mehr viel Wert ist?

Diese Entsolidarisierung ist eine starke gesellschaftspolitische Bewegung, die salonfähig geworden ist, eine politische Gegenbewegung zu 1968: Me first, America first.

Das lesen wir beispielhaft im Feuilleton der NZZ. Es gibt keine Woche, in der nicht mindestens zwei Artikel gegen die Solidarität, gegen die Hilfsbereitschaft, gegen den Einsatz für Arme und gegen das Mitleid erscheinen würde.

Welche Trümpfe hat die SRG?

Sie ist eingebettet in der direkten Demokratie. Sie überbrückt kulturelle Gräben zwischen Stadt und Land und zwischen allen Landesteilen und Sprachregionen. Das blenden die Initianten einfach aus. Die Präsenz der SRG in der französischen und in der italienischsprachigen Schweiz ist eines der wichtigsten Bindemittel unserer Willensnation. Die SRG trägt wesentlich zum kulturellen Zusammenhalt unseres Landes in seiner Vielfältigkeit bei.

Die Radio- und Fernsehgebühren kosten künftig einen Franken pro Tag. Ist es nicht seltsam, dass man wegen eines Frankens ein solch emotionales Riesentheater veranstaltet?

Der Tages-Anzeiger kostet über 500 Franken im Jahr, die NZZ über 600 Franken. Je ideologischer desto teurer, möchte man sagen. Hier, wo es um die Infrastruktur der Demokratie geht, schiesst man auf diesen einen Franken ...

Nicht nur die SRG ist in Gefahr. Bei der SDA soll ein Viertel des Personals abgebaut werden. Der CEO der SDA liess den Satz fallen, die Agentur sei nur ihren Aktionären verpflichtet, Ziel sei es, Gewinn zu machen.

Dann soll er doch nur noch Fake News vermitteln. So verdienen seine Aktionäre am meisten! Es ist pervers, leider jedoch auch ein Zeichen einer allgemeinen Entwicklung. Die Medienunternehmen verstehen sich zusehends als reine Wirtschaftsunternehmen. In der Bundesverfassung wird aber unterschieden zwischen Wirtschaftsfreiheit und Medienfreiheit. Diese hat als Kehrseite gesellschaftliche Verantwortung und Verpflichtung. Das gilt vor allem für eine Nachrichtenagentur.